Unter den Mädchen war Eine, ein köstliches,
bildschönes Kind,
sah aus wie Wachs, Haare wie goldne Seide,
kirschrothe Lippen,
wie ein Püppchen gewachsen, brandrabenschwarze
Augen.
Wer sie sah, hätte mögen vergehn,
so lieblich war sie.
Damals war Rosenblüthe, so hieß
sie, dem bildschönen Hyacinth, so hieß er,
von Herzen gut, und er hatte sie lieb zum
Sterben.
Die andern Kinder wußtens nicht.
Ein Veilchen hatte es ihnen zuerst gesagt,
die Hauskätzchen hatten es wohl gemerkt,
die Häuser ihrer Eltern lagen nahe beisammen.
Wenn nun Hyacinth die Nacht an seinem Fenster
stand
und Rosenblüthe an ihrem,
und die Kätzchen auf dem Mäusefang
da vorbeyliefen,
da sahen sie die Beiden stehn,
und lachten und kickerten oft so laut,
daß sie es hörten und böse
wurden.
Das Veilchen hatte es der Erdbeere im Vertrauen
gesagt,
die sagte es ihrer Freundinn der Stachelbeere,
die ließ nun das Sticheln nicht, wenn
Hyacinth gegangen kam;
so erfuhrs denn bald der ganze Garten und
der Wald,
und wenn Hyacinth ausging, so riefs von allen
Seiten:
Rosenblüthchen ist mein Schätzchen!"
Nun ärgerte sich Hyacinth, und mußte
doch auch wieder
aus Herzensgrunde lachen, wenn das Eidexchen
geschlüpft kam,
sich auf einen warmen Stein setzte, mit dem
Schwänzchen wedelte und sang:
"Rosenblüthchen, das gute Kind,
Ist geworden auf einmal blind,
Denkt, die Mutter sey Hyacinth,
Fällt ihm um den Hals geschwind;
Merkt sie aber das fremde Gesicht,
Denkt nur an, da erschrickt sie nicht,
Fährt, als merkte sie kein Wort,
Immer nur mit Küssen fort".
Ach! Wie bald war die Herrlichkeit vorbey.
Es kam ein Mann aus fremden Landen gegangen,
der war erstaunlich weit gereist,
hatte einen langen Bart, tiefe Augen, entsetzliche
Augenbrauen,
ein wunderliches Kleid mit vielen Falten und
seltsame Figuren hineingewebt.
Er setzte sich vor das Haus, das Hyacinths
Eltern gehörte.
Nun war Hyacinth sehr neugierig, und setzte
sich zu ihm und holte ihm Brod und Wein.
Da that er seinen weißen Bart von einander
und erzählte bis tief in die Nacht,
und Hyacinth wich und wankte nicht, und wurde
auch nicht müde zuzuhören.
So viel man nachher vernahm, so hat er viel
von fremden Ländem, unbekannten Gegenden,
von erstaunlich wunderbaren Sachen erzählt,
und ist drey Tage dageblieben,
und mit Hyacinth in tiefe Schachten hinuntergekrochen.
Rosenblüthchen hat genug den alten Hexenmeister
verwünscht,
denn Hyacinth ist ganz versessen auf seine
Gespräche gewesen,
und hat sich um nichts bekümmert;
kaum daß er ein wenig Speise zu sich
genommen.
Endlich hat jener sich fortgemacht, doch dem
Hyacinth ein Büchelchen dagelassen,
das kein Mensch lesen konnte.
Dieser hat ihm noch Früchte, Brod und
Wein mitgegeben,
und ihn weit weg begleitet. Und dann ist er
tiefsinnig zurückgekommen,
und hat einen ganz neuen Lebenswandel begonnen.
Rosenblüthchen hat recht zum Erbarmen
um ihn gethan,
denn von der Zeit an hat er sich wenig aus
ihr gemacht
und ist immer für sich geblieben.
Nun begab sichs, daß er einmal nach Hause
kam und war wie neugeboren.
Er fiel seinen Eltern um den Hals, und weinte.
"Ich muß fort in fremde Lande, sagte
er, die alte wunderliche Frau im Walde hat mir erzählt,
wie ich gesund werden müßte, das
Buch hat sie ins Feuer geworfen, und hat mich getrieben,
zu euch zu gehn und euch um euren Segen zu
bitten.
Vielleicht komme ich bald, vielleicht nie
wieder.
Grüßt Rosenblüthchen. Ich
hätte sie gern gesprochen, ich weiß nicht, wie mir ist,
es drängt mich fort; wenn ich an die
alten Zeiten zurück denken will,
so kommen gleich mächtigere Gedanken
dazwischen, die Ruhe ist fort,
Herz und Liebe mit, ich muß sie suchen
gehn.
Ich wollt euch gern sagen, wohin, ich weiß
selbst nicht,
dahin wo die Mutter der Dinge wohnt, die verschleyerte
Jungfrau.
Nach der ist mein Gemüth entzündet.
Lebt wohl".
Er riß sich los und ging fort.
Seine Eltern wehklagten und vergossen Thränen.
Rosenblüthchen blieb in ihrer Kammer und
weinte bitterlich.
Hyacinth lief nun was er konnte, durch Thäler
und Wildnisse,
über Berge und Ströme, dem geheimnissvollen
Lande zu.
Er fragte überall nach der heiligen Göttin
(Isis), Menschen und Thiere, Felsen und Bäume.
Manche lachten manche schwiegen, nirgends
erhielt er Bescheid.
Im Anfange kam er durch rauhes, wildes Land,
Nebel und Wolken warfen sich ihm in den Weg,
es stürmte immerfort;
dann fand er unabsehliche Sandwüsten,
glühenden Staub,
und wie er wandelte, so veränderte sich
auch sein Gemüth,
die Zeit wurde ihm lang und die innre Unruhe
legte sich,
er wurde sanfter und das gewaltige Treiben
in ihm allgemach
zu einem leisen, aber starken Zuge,
in den sein ganzes Gemüth sich auflöste.
Es lag wie viele Jahre hinter ihm.
Nun wurde die Gegend auch wieder reicher und
mannigfaltiger,
die Luft lau und blau, der Weg ebener,
grüne Büsche lockten ihn mit anmuthigem
Schatten,
aber er verstand ihre Sprache nicht, sie schienen
auch nicht zu sprechen,
und doch erfüllten sie auch sein Herz
mit grünen Farben und kühlem, stillem Wesen.
Immer höher wuchs jene süße
Sehnsucht in ihm,
und immer breiter und saftiger wurden die
Blätter,
immer lauter und lustiger die Vögel und
Thiere,
balsamischer die Früchte, dunkler der
Himmel,
wärmer die Luft, und heißer seine
Liebe, die Zeit ging immer schneller,
als sähe sie sich nahe am Ziele.
Eines Tages begegnete er einem krystallnen
Quell und einer Menge Blumen,
die kamen in ein Thal herunter zwischen schwarzen
himmelhohen Säulen.
Sie grüßten ihn freundlich mit
bekannten Worten.
"Liebe Landsleute", sagte er,
"wo find ich wohl den geheiligten Wohnsitz
der Isis?
Hier herum muß er seyn, und ihr seid
vielleicht hier bekannter, als ich".
"Wir gehn auch nur hier durch", antworteten
die Blumen;
"eine Geisterfamilie ist auf der Reise und
wir bereiten ihr Weg und Quartier,
indeß sind wir vor kurzem durch eine
Gegend gekommen,
da hörten wir ihren Namen nennen.
Gehe nur aufwärts, wo wir herkommen,
so wirst du schon mehr erfahren".
Die Blumen und die Quelle lächelten,
wie sie das sagten,
boten ihm einen frischen Trunk und gingen
weiter.
Hyacinth folgte ihrem Rath, frug und frug und
kam endlich zu jener längst gesuchten Wohnung,
die unter Palmen und anderen köstlichen
Gewächsen versteckt lag.
Sein Herz klopfte in unendlicher Sehnsucht,
und die süßeste Bangigkeit durchdrang
ihn in dieser Behausung der ewigen Jahreszeiten.
Unter himmlischen Wohlgedüften entschlummerte
er,
weil ihn nur der Traum in das Allerheiligste
führen durfte.
Wunderlich führte ihn der Traum durch
unendliche Gemächer voll seltsamer Sachen
auf lauter reitzenden Klängen und in
abwechselnden Accorden.
Es dünkte ihm alles so bekannt und doch
in niegesehener Herrlichkeit,
da schwand auch der letzte irdische Anflug,
wie in Luft verzehrt,
und er stand vor der himmlischen Jungfrau,
da hob er den leichten, glänzenden Schleyer,
und Rosenblüthchen sank in seine Arme. |