Auf einem abgelegenen
Hof, nahe bei einem großen Tannenwalde,
lebte einmal ein Bauer, dem seine Frau schon
vor Jahren gestorben war.
Zum Glück hatte er aber zwei erwachsene
Töchter,
die eine blond und die andere schwarz;
die führten ihm nun den Haushalt, versahen
den Stall und das Hühnervolk
und halfen auch draußen auf dem Felde
mit, so gut sie konnten.
Meist richteten sie es aber so ein,
daß die eine dem Vater bei den bäuerlichen
Arbeiten half,
während die andere zu Hause blieb und
dort nach dem Rechten sah.
Denn es war nun einmal so, und niemand wußte
eigentlich zu sagen,
warum daß die zwei Schwestern sich nicht
vertrugen,
sondern sich wegen jeder Kleinigkeit zankten
oder tagelang,
ohne sich ein Wort zu gönnen, aneinander
vorübergingen.
Dem Vater aber waren beide gleich lieb; er
bemühte sich redlich,
keine der andern gegenüber zu bevorzugen,
und erfreute sie häufig durch Geschenke,
die sie sich immer selber wählen durften.
Als er darum eines Tages wieder einmal auf
den Markt ging,
rief er sie zu sich in die Stube und fragte:
"Ihr wißt ja, heut ist Markt im Dorf
drunten; was soll ich euch mitbringen?"
"Ich möchte ein schönes Sonntagskleid
haben", sagte die eine.
"Und ich wünsche mir drei Rosen auf einem
Stiel", entgegnete die andere.
"Drei Rosen auf einem Stiel? . . .
Wenn ich die nur bekommen kann", sagte der
Vater
und machte sich auf den Weg.
Als er seinen Handel abgeschlossen
und im Wirtshaus zu Mittag gegessen hatte,
kaufte er der einen Tochter ein schönes
neues Kleid;
obgleich er aber den ganzen Markt zweimal
auf und ab ging
und sich auch auf dem Heimweg lange und angestrengt
umsah,
konnte er doch nirgends drei Rosen erblicken,
die auf einem Stiele wuchsen.
Endlich, als er schon ein gutes Stück
vor dem Dorf draußen war,
sah er in einem Garten einen blühenden
Rosenstrauch stehen.
Er betrachtete ihn näher, und wahrhaftig
-
an ihm wuchsen drei Rosen auf einem Stiel
beisammen,
so wie die zweite Tochter es sich gewünscht
hatte.
Ohne sich lange zu besinnen, trat er in den
Garten ein,
faßte das Zweiglein mit den drei Rosen
und wollte es gerade abbrechen.
Da stand mit einem Male ein braunzottiger
Bär vor ihm und sagte:
"Was suchst du da in meinem Garten?"
Als er sich von seinem Schrecken erholt hatte,
erzählte der Bauer, daß seine eine
Tochter gewünscht habe,
er solle ihr drei Rosen auf einem Stiel als
Marktgeschenk mitbringen.
Lange habe er vergeblich gesucht;
hier an diesem Strauch habe er endlich
einen solch wundersamen Zweig gefunden.
Ob er ihn nicht brechen und mit nach Hause
nehmen dürfe.
"Du kannst die drei Rosen mitnehmen", sagte
der Bär;
"doch nur unter der Bedingung,
daß du morgen um dieselbe Stunde wieder
hieherkomms
t und deine Tochter mitbringst.
Es soll ihr Schaden nicht sein. Tust du aber
nicht, was ich dir geboten,
so mußt du sterben!"
Der Bauer versprach wiederzukommen,
bedankte sich für die drei Rosen und
machte sich auf den Heimweg.
Als er auf dem Hofe ankam, warteten seine Töchter
schon auf ihn.
Die Schwarzhaarige begrüßte ihn
am Brunnen,
wo sie gerade Wasser für das Vieh schöpfte;
die Blonde trat ihm freudig aus der Küche
entgegen.
Als sie das Zweiglein mit den drei Rosen in
des Vaters Hand sah,
strahlten ihre ,Augen vor Glück;
sie bewunderte es lange und stellte es dann
sorgsam in ein Glas ans Fenster.
Die Schwarzhaange aber, die ihr Kleid gleich
einmal zur Probe angelegt hatte, lächelte nur verächtlich,
als sie die drei Rosen sah, und wie sie erst
vernahm,
daß die Schwester morgen den wilden
Bären besuchen sollte, meinte sie:
"Du wirst deine drei Rosen teuer bezahlen
müssen und nicht wieder zurückkehren!"
Die Blonde aber sagte: "Was der Vater dem
Bären versprochen hat,
das will ich halten."
Am andern Tag begab sich der Bauer mit seiner
Tochter
zu dem Garten des Bären.
Als sie eintraten, kam auch schon der Bär
angetrottet und fragte:
"Ist das die Tochter, die sich die drei Rosen
gewünscht hat?"
"Ja", erwiderte der Vater. "Laß
sie bis zum Sonnenuntergang bei mir", sprach der Bär.
"Es soll ihr kein Leid geschehen und wird
sie nicht gereuen."
Dem Bauern fiel es schwer, die Tochter so
mutterseelenallein bei dem wilden Tier zu lassen,
und er dachte den ganzen Tag über voll
Sorge an sie.
Doch er hätte sich nicht mit solchen
Gedanken zu quälen brauchen.
Denn als der Bär mit dem Mädchen
allein war,
nahm er es behutsam bei der Hand und führte
es in ein herrliches Lustschloß,
das zwischen Bäumen und blühenden
Sträuchern
versteckt mitten in dem Garten lag.
Er zeigte ihm alle die prunkvollen bemalten
Räume und auch die Schmuckschränke,
in denen es nur so gleißte und funkelte
von Gold, Silber, Perlen und Edelsteinen.
So etwas hatte die einfache Bauerntochter
noch nie gesehen,
und sie konnte ihre Augen fast nicht mehr
abwenden von all den Herrlichkeiten.
"Wähle für dich aus, was dir am
besten gefällt", sprach der Bär.
"Ich will es dir schenken, wenn du morgen
noch einmal allein
zu mir in den Garten kommst."
Das Mädchen versprach es,
suchte sich eine Halskette und einen Ring
aus und kehrte am Abend vergnügt nach Hause zurück.
Als die Schwarzhaarige den kostbaren Schmuck
sah, wurde sie blaß vor Neid.
Und weil sie vermutete,
daß die Schwester beim nächsten
Besuche womöglich noch reicher beschenkt werden könnte,
suchte sie ihr wiederum Furcht vor dem Bären
einzureden
und sie so weit zu bringen, ihr Versprechen
nicht einzuhalten
und lieber daheim zu bleiben.
Aber all ihr Zureden und Einflüstern
war umsonst.
Da stand sie in der Nacht heimlich auf,
raffte die Kleider und Schuhe der Schwester
zusammen
und versteckte sie in der Scheune unter dem
Heu.
Wohl eine Stunde lang suchte die Blonde
am andern Morgen nach ihren Kleidern
und ahnte bald, daß die neidische Schwester
ihre Hände im Spiel hatte.
Doch sie ließ sich in ihrem Entschluß,
dem Bären ihr Wort zu halten, nicht beirren,
zog ihre alte zerwaschene und geflickte Küchenschürze
an
und ging barfuß vom Hofe.
Weil sie sich aber beim Suchen zu lange aufgehalten
hatte,
kam sie verspätet im Garten an.
Da stand der Rosenstrauch mit traurig leblosen
Zweigen,
und die Rosen hingen blaß und halb verwelkt
zwischen den Blättern.
"Es ist auch so totenstill überall",
dachte sie
und rief mit banger Stimme nach dem Bären.
Niemand gab Antwort.
Weinend irrte sie von einem Ende des Gartens
zum andern
und lockte und rief:
"Komm, komm mein Bär! Wo bist du denn,
mein liebes Tier?"
Da hörte sie endlich aus dem Rosenstrauch
hervor etwas wimmern und winseln,
lief drauf zu und sah den Bären wie tot
auf dem Moose liegen.
Als sie aber mit ihren Händen die Zweige
und Blüten berührte,
um dem Tier den Weg freizumachen, richteten
sich die welken Ranken und Blätter wieder auf, die Rosen dufteten
und leuchteten,
und der Bär schlug die Augen auf, kroch
aus dem Dickicht hervor,
streifte daran seinen zottigen Pelz ab
und stand als ein schöner, junger Prinz
vor dem Mädchen.
"Nun bin ich unglücklicher, verwunschener
Königssohn endlich befreit!" sprach er.
"Deiner Liebe und Treue, liebes Mädchen,
habe ich mein neues Leben zu danken,
und darum will ich dich zu meiner Frau und
Königin machen!"
Unter dem Rosenstrauch gab er ihr den Verlobungskuß,
und bald darauf hielten sie Hochzeit
und lebten glücklich miteinander bis
an ihr Ende.
(Quelle: Franz Georg Brustgi
Das Wunderschiff - Schwäbische Volksmärchen Hohenstaufen-Verlag
Stuttgart 1941)
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